Medienbruchfreie Belehrung nach dem Infektionsschutz-gesetz (§ 43 Abs. 1 IfSG)
Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich Lebensmittel zubereiten oder verkaufen, benötigen vor Beginn ihrer Tätigkeit eine behördliche Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz - die sogenannte Infektionsschutz- bzw. Hygienebelehrung. In dieser zumeist in Präsenz abgewickelten Belehrung erfahren die Teilnehmer:innen, wie die Übertragung von Infektionskrankheiten minimiert wird, wie typische Krankheitssymptome erkannt werden und wann eine Tätigkeit aufgrund einer Infektionskrankheit nicht weiter ausgeübt werden darf.
Die Probleme für die Nutzer:innen der Belehrung waren vielfältig: die Nachfrage war zumeist größer als das Terminangebot, dadurch entstanden teilweise sehr lange Wartezeiten auf einen Belehrungstermin. Die Belehrungen wurden entweder in Neuss, Grevenbroich oder Dormagen abgehalten, was zu langen Fahrtzeiten und -wegen führte (Klimaschutz und Nutzerfreundlichkeit!). Die Präsenzbelehrung erfolgt ausschließlich in deutscher Sprache, so dass häufiger mehrere Dolmetscher vor Ort waren, die sich gegenseitig störten.
Ergänzende Probleme für die Verwaltung waren die rechtzeitige Buchung geeigneter Raumressourcen - bei gleichzeitig kurzfristigen Terminabsagen. Zudem mussten die Bescheinigungen vorbereitet und im Termin ausgehändigt werden.
Was kann die App?
Die Belehrung mittels unserer «IfSG-App» kann 24/7, ortsunabhängig, medienbruchfrei und in 8 Sprachen absolviert werden, inklusive Bereitstellung der Teilnahmebescheinigung. Im Falle der Authentifizierung per Online- Ausweisfunktion läuft die Belehrung vollständig automatisiert bis zur Ablage des Vorgangs in der elektronischen Akte des Gesundheitsamtes. Durch das selbst entwickelte «Selfie-Ident» bieten wir eine zusätzliche smarte Authentifizierung an. Die Gültigkeit der Teilnahmebescheinigung kann mit einem mobilen Endgerät geprüft werden (z. B. für Lebensmittelkontrollen).
Durch das innovative App-Projekt werden tausende Behördengänge für Bürgerinnen und Bürger obsolet, Wartezeiten auf behördliche Belehrungstermine und Aufwand für Fahrten zu Behörden entfallen. Die Dienstleistung steht 24/7 an jedem internetfähigen Ort zur Verfügung. Das Personal im Gesundheitsamt wird spürbar entlastet.
Wurden Nutzer bzw. Bürger eingebunden? Wie genau?
Die Nutzergruppe ist bunt gemischt: Vom jungen Studenten über die Fachkraft, die in der Küche arbeiten wird bis zur Seniorin, die ehrenamtlich in der Schule aktiv ist. Teile der Nutzergruppe konnten den mit den Gesundheitsfachkräften erstellten Prototypen testen und bewerten. Die Erkenntnisse wurden dann in Version 1.0.0 berücksichtigt. Nachgelagert führen wir Interviews mit den Menschen durch, die uns positiv oder negativ Feedback geben. Diese sehr wertvollen Erkenntnisse haben dazu geführt, dass die App ständig verbessert wird (Version 1.3.0. ist in Umsetzung).
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Initiierende Stelle:
Gemeinsames Projekt der Stabsstelle Digitalisierung und des Kreisgesundheitsamtes in Grevenbroich
Umgesetzt für:
Das Kreisgesundheitsamt sowie die geschäftsfähigen Kund:innen, die eine Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz absolvieren müssen.
Ebene:
Kommune
Beteiligte Disziplinen:
Fach-/Prozess-Wissen (Kreisgesundheitsamt)
Anwendungsentwickler (Stabsstelle Digitalisierung)
Prozessdesigner (Stabsstelle Digitalisierung)
DMS-Experte (Stabsstelle Digitalisierung)
Grafikdesign (Stabsstelle Digitalisierung)
Erstellung des Storyboards zum Erklärvideo (Stabsstelle Digitalisierung, Kreisgesundheitsamt)
Produktion des Erklärvideos (extern)
IT-Sicherheit (extern)
Übersetzung (extern)
Dauer:
Projektauftrag bis Prototyp: Dez 2019 bis April 2020. Start der Anwendungsentwicklung: Mai 2020 Testphase: Nov 2021 - Jan 2022
Freigabe in App Stores: Apr 2022
Budget:
Sachkosten (Film und Übersetzung der Texte in 8 Sprachen, IT-Sicherheit):
rund 50.000 €
Nachgefragt bei Jürgen Brings
Was genau hat den Anstoß zur Umsetzung gegeben?
Mein Anwendungsentwickler und ich suchten ein Folgeprojekt für unsere StVA-App (da noch im Kontext „Internetredaktion“). Der damalige Amtsarzt hatte die Idee an uns herangetragen, wegen der seinerzeit hemmenden Schriftformerfordernisse haben wir dann aber den „Pflegefinder“ entwickelt. Mit Schaffung der Stabsstelle Digitalisierung haben wir die Idee wieder aufgegriffen.
Wie stellen Sie ihr (erlerntes) Wissen zu Innovationsprozessen anderen zur Verfügung?
Indem wir von unseren Erfolgen und Misserfolgen berichten bzw. unser Wissen teilen. Das gesamte Projekt ist u.a. in einem Github Repository dokumentiert, auf das allerdings nicht jeder Zugriff hat.
Was war die größte unerwartete Herausforderung?
Die fertige App in den beiden wichtigsten App-Stores zu platzieren und dort aktuell zu halten. Alleine wegen der integrierten Bezahlfunktion mussten wir einige Überzeugungsarbeit leisten.
Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Wir würden ein anderes Framework benutzen. Zurzeit nutzen wir das Ionic Framework, das sich aus mehreren Komponenten unterschiedlicher Hersteller zusammensetzt. Diese Komponenten müssen alle aufeinander abgestimmt werden, was mitunter knifflig und zeitraubend ist.
Welchen Vorgang gehen Sie als nächstes an?
Wir haben zurzeit so viele elementare Projekte, dass ich das heute noch nicht abschätzen kann. Ideen gibt es genug.
Was würden Sie anderen Behörden raten, die sich aufmachen einen ähnlichen Prozess wie Sie anzugehen?
Ein anderes Framework zu nutzen und die späteren Nutzer:innen noch intensiver einbinden.
Welche neuen Kompetenzen wurden eventuell erlernt und welche neuen Kompetenzen benötigt „Verwaltung“ in der Zukunft?
Einfach mal machen und dabei noch einfacher denken. „Verwaltung der Zukunft“ sollte die Kundenzentrierung - auf allen staatlichen Ebenen - vorantreiben.
Ansprechpartner:innen
Rhein-Kreis Neuss
Dezernat VI/Stabsstelle Digitalisierung
Auf der Schanze 4
41516 Grevenbroich
digitalisierung@rhein-kreis-neuss.de
https://rkn.nrw/ssd
Harald Vieten
IT-Dezernent und interner Sponsor
Jürgen Brings
Chief Digital Officer
Robert Ruß
Projektleiter IfSG-App
Digitalisierung@rhein-kreis-neuss.de
Team
Sebastian Fischer
Frontend-Anwendungsentwickler (App)
Tobias Schellhorn
Backend-Anwendungsentwickler (Wordpress)
Marc Hammen
DMS und interne Workflows
Sebastian Heckhausen
Prozesse, Texte
Rhein-Kreis Neuss
Gesundheitsamt
Abt. Infektionsschutz und Umwelthygiene
Auf der Schanze 1
41516 Grevenbroich
belehrung@rhein-kreis-neuss.de