Ankommen in 45min. Das Ankommens-zentrum der Stadt Leipzig für Schutzsuchende aus der Ukraine.
Seit Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 flohen über 10.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland. Sie brauchten in kürzester Zeit Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt, zu einer Unterkunft, zu Kinderbetreuung und Beratung zu weiteren Unterstützungsangeboten der Behörden. Ohne diese Leistungen war der Neuanfang in Deutschland kaum möglich. Für die Schutzsuchenden stellte dabei das vielschichtige, komplexe Behördensystem in Deutschland sowie die Sprachbarriere eine enorme Herausforderung dar. In der üblichen Verwaltungslogik müssten Neu-Leipziger/-innen sich zunächst in einem Bürgerbüro anmelden, in der Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel beantragen, im Sozialamt Sozialleistungen und eine Unterkunft. Verbindende und unterstützende Beratungsangebote waren wiederum an anderen Verwaltungsstandorten zu finden. Insgesamt gäbe es 17 Verwaltungsstellen im Leipziger Stadtgebiet, für die es in der Regel einen Termin oder Wartezeit bedarf.
Um die schutzsuchenden Menschen in Leipzig willkommen zu heißen und Ihnen das Ankommen in Leipzig so einfach wie möglich zu machen, wurde ein Ankommenszentrum gegründet. Dort arbeiteten das Amt Bürgerservice, die Ausländerbehörde, das Sozialamt, das Referat Migration und Integration, das Referat für Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt, das Jugendamt und weitere Partner/-innen wie die Bundesagentur für Arbeit, das Landesamt für Schule und Bildung, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Sparkasse an einem Ort zusammen.
Zwischenzeitlich waren über 60 Arbeitsplätze aufgebaut, um die Schutzsuchenden so schnell und so breit wie möglich zu unterstützen.
Bereits am 9. März 2022 ging das „erste“ Ankommenszentrum im Neuen Rathaus in Leipzig unter Beteiligung von fünf Behörden in Betrieb. Von Anfang an wurden Dolmetscher/-innen und Lots/-innen eingesetzt, die die Schutzsuchenden bei der Orientierung und den Serviceleistungen im Ankommenszentrum unterstützten.
Durch die Bündelung der Services konnten die Anliegen von 10.000 Menschen aus einer Hand und in kürzester Zeit bedient werden. Anstatt von Behörde zu Behörde zu wandern und Warte- und Bearbeitungszeiten auf sich zu nehmen, wurden innerhalb von 45 Minuten alle Anliegen erledigt. Menschen, die aus dem Ankommenszentrum hinaus gingen, waren in Deutschland angemeldet und hatten eine Fiktionsbescheinigung in der Hand, mit der sie arbeiten und Sozialleistungen erhalten konnten. Diesen Menschen wurde ein Scheck übergeben oder Geld auf das Konto überwiesen und wo nötig eine Unterkunft vermittelt. Die Bundesagentur für Arbeit beriet vor Ort zu den Möglichkeiten am Arbeitsmarkt und das Jugendamt und das Landesamt für Schule und Bildung zu den Themen Betreuung und Bildung. Damit war der Grundstein für das Ankommen in Deutschland gelegt. Der Weg war nun frei für die nächsten Schritte in Leipzig.
Im Ankommenszentrum wurden die Anliegen aller Schutzsuchenden aus der Ukraine bearbeitet. Zum Großteil waren die Schutzsuchenden Frauen (72 %). Es gab zudem viele ältere Menschen. 33 % der Ankommenden waren jünger als 18 Jahre.
Das Ankommenszentrum wurde im August für weitere Zielgruppen mit Migrationsgeschichte geffönet. Die Stadt Leipzig erarbeitet aktuell ein Konzept, um das „Modell Ankommenszentrum“ langfristig zu verstetigen. Die Zielgruppen wurden zum einen über mehrsprachige Öffentlichkeitsarbeit, über die Website und soziale Medien eingebunden. Durch mehrsprachige Lots/-innen im Ankommenszentrum wurden die Schutzsuchenden dort von Beginn an betreut.
Ergänzend bot das Bürgertelefon eine ukrainisch/russische Hotline an, um auch telefonisch beraten zu können. Nicht zuletzt gab es regelmäßige Treffen und Workshops mit ehrenamtlichen Organisationen, um gemeinsame Lösungen für akute Probleme zu finden.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Initiierende Stelle:
Dezernat I, Stadt Leipzig
Umgesetzt für:
Das Ankommenszentrum wurde in Leipzig umgesetzt.
Seit März 2022 bis heute gab es drei verschiedene Standorte im Stadtgebiet, ausgerichtet auf die Anzahl der Ankommenden.
Beteiligt waren ca. 10 Behörden aus der Stadt Leipzig und darüber hinaus, sowie weitere Kooperationspartner/-innen.
Ebene:
Kommune
Team:
Maximilian Zettlitzer
Gesamtkoordinator (Projektmanagement)
Marlen Berger
Fachkoordination (Fachliche Koordination der interdisziplinären Behördenarbeit)
Ronny Kanis
Koordinator Infrastruktur
Christian Wießner
Koordinator IT
Pia Mareike-Heyne
Koordinatoren gesellschaftliches Engagement
Christin Hilpert, Michael Naber
Öffentlichkeitsarbeit
Hanna Saur
Gesamtkoordination im Zusammenspiel mit Maximilian Zettlitzer
Beteiligte Disziplinen
Amt Bürgerservice
Anmeldung und telefonische Beratung
Ordnungsamt, Ausländerbehörde
Erteilung Aufenthaltstitel
Sozialamt, Abteilung Migrantenhilfe
Finanzielle Hilfen und Unterkunft
Referat Migration und Integration
Beratung
Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt Einbindung von Engagement und Ehrenamt
Jugendamt
Begleitung von Minderjährigen, Beratung zu Betreuungs- und Bildungsangeboten
Hauptamt
Organisationsberatung und Projektmanagement
Personalamt
Akquise von zusätzlichem Personal
Bundesagentur für Arbeit
Arbeitsvermittlung, finanzielle Hilfen
Sparkasse
Einrichtung von Konten
Landesamt für Schule und Bildung
Schulanmeldung
Amt für Gebäudemanagement
Räumliche Infrastruktur und Ausstattung
Lecos
IT-Dienstleister
Mitarbeiter/-innen aus allen Ämtern
Dauer
Nach Kriegsbeginn am 24. Februar wurde innerhalb von knapp zwei Wochen am 9. März das Ankommenszentrum an einem ersten Standort mit 12 Arbeitsplätzen eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine verlässlichen Prognosen zur Anzahl der Ankommenden. Schnell wurde klar, dass die Menge an Arbeitsplätzen nicht ausreichte. Zum 23. März zog das Ankommenszentrum in eine Dreifeldsporthalle mit über 60 Arbeitsplätzen um. Zum 7. Juni, nachdem die Anzahl der Ankommenden weniger wurde, zog das Ankommenszentrum an einen kleineren Standort mit knapp 20 Arbeitsplätzen um.
Budget
Die Kosten für das Ankommenszentrum seit März belaufen sich auf circa 1,5 Millionen Euro.
Nachgefragt bei Marlen Berger (Fachkoordination – Fachliche Koordination der interdisziplinären Behördenarbeit)
Was genau hat den Anstoß zur Umsetzung gegeben?
Seit Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 flohen viele Menschen aus der Ukraine nach Deutschland. Die Stadt Leipzig schätzte, dass ca. 10.000 Menschen in kürzester Zeit nach Leipzig kommen werden. Um die schutzsuchenden Menschen in Leipzig willkommen zu heißen und ihnen das Ankommen in Leipzig so einfach wie möglich zu machen, wurde ein Ankommenszentrum gegründet.
Wie stellen Sie ihr (erlerntes) Wissen zu Innovationsprozessen
Anderen zur Verfügung?
Im Rahmen der Ukraine-Hilfe wurden die Erfolgsfaktoren und Herausforderungen von ämterübergreifenden Kooperationsansätzen ausgewertet. Ziel ist es, die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für den Normalbetrieb sowie für zukünftige Krisenszenarien im Zusammenhang mit dem aktuellen Migrations- oder Fluchtgeschehen abzuleiten.
Was war die größte (unerwartete) Herausforderung?
Schnelle Gesetzesänderungen wie der Rechtskreiswechsel vom Asylbewerberleistungsgesetz hin zu SGB II waren sehr herausfordernd. Die Motivation fachfremden Personals zur Unterstützung war ebenfalls nicht immer einfach. Zusätzlich hatte auch niemand mit der tatsächlichen Masse an betroffenen Personen und den zahlreichen Einzelschicksalen gerechnet.
Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Zunächst muss die Krisenkompetenz der Führungskräfte und der Bediensteten weiter gestärkt und geschärft werden. Außerdem müssen in solchen Fällen mehr Stellen zur Verfügung stehen. Digitale Befähigungen und ämterübergreifende Rotationsmodelle in den Bürgerservice-Bereichen sind dabei äußerst hilfreich.
Welchen Vorgang gehen Sie als nächstes an?
Nach der Erprobung des neuen Modells in einer Krisensituation geht es nun hauptsächlich um die Verstetigung und Öffnung der Prozesse im Ankommenszentrum für alle Migrationsgruppen. Idealerweise werden die gemeinsamen, ämterübergreifenden IT-Strukturen weiterentwickelt und es entstehen mehr der sogenannten Jedermanns-Arbeitsplätze.
Was würden Sie anderen Behörden raten, die sich aufmachen einen ähnlichen Prozess wie Sie anzugehen?
Wichtig bei der Gründung eines solchen Ankommenszentrums ist die Bildung eines übergeordneten Krisenstabs mit Budgetverantwortung, für schnelle Entscheidungen über die Grenzen der Zuständigkeit hinaus. Essentiell ist auch die stetige Kommunikation miteinander.
Glauben Sie, dass das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis mit anderen Mitteln hätte erreicht werden können? Mit welchen?
In diesem besonderen Fall waren die Mittel nicht das Problem – die größere Herausforderung lag eher im Commitment zur ämterübergreifenden Zusammenarbeit.
Welche neuen Kompetenzen wurden eventuell erlernt und welche neuen Kompetenzen benötigt „Verwaltung“ in der Zukunft?
Mehrsprachige Angebote sollen zukünftig, auch im Sinne der Barrierefreiheit, dauerhaft zur Verfügung stehen. Wir haben auch die Vorzüge der Besuchersteuerung als zentrales Mittel für Serviceleistungen im „Behördendschungel“ für uns entdeckt. Die ämterübergreifende Zusammenarbeit steht seit der Gründung des Ankommenszentrums noch mehr im Fokus.