Formularwerkstatt: bürger:innenfreundliche Formulare bei der Stadt Köln
Der Klassiker: Behördensprache
Die vielfältigen Kund:innen von Stadtverwaltungen haben häufig Schwierigkeiten, Behördensprache zu verstehen. Bei Formularen, Anträgen, Merkblättern etc. führt die Nutzung komplizierter Fachsprache in Kombination mit häufig wenig intuitiv bzw. nutzendenorientiertem Aufbau und wenig gestalterischen Elementen oft zu fehlerhaften Rückläufen oder vermehrten Nachfragen. Dies wiederum erzeugt Frustration und Unverständnis sowie einen Mehraufwand bei der Verwaltung und verkompliziert und verlängert die Arbeitsprozesse.
Unsere Lösung: interdisziplinäre Werkstätten
Dieses Problem adressiert das Projekt mit einer eigens entwickelten Lösung: der agilen und nutzendenorientierten Formularwerkstatt! In den Werkstätten werden viel genutzte Schriftstücke eines Fachamtes mit häufig fehlerhaften Rückläufen oder vielen Rückfragen mit Blick auf verschiedene Kategorien überarbeitet:
- Struktur
- Sprache
- Service und
- Optik.
Die Arbeit erfolgt in einem interdisziplinären Werkstattteam. Die überarbeitete Fassung eines Dokumentes wird direkt mit Nutzenden getestet, um weitere Anpassungsbedarfe zu erkennen und ggf. direkt einzuarbeiten. Erst danach wird der Prototyp im Fachamt implementiert. Je nach Ausgangslage werden Nutzende auch vor Beginn der Formularwerkstatt eingebunden, um neuralgische Punkte, die im Dokument verändert werden sollten, zu erkennen.
Nutzer:innengruppen der Arbeitsergebnisse sind grundsätzlich alle Bürger:innen der Stadt Köln. Je nach Lebenslage haben die mehr als eine Million Einwohner:innen mehrere unterschiedliche oder parallele Kontakte mit unterschiedlichen Ämtern und Abteilungen der Stadtverwaltung, z. B. für Transfer-leistungsempfänger:innen, Gewerbe-treibende, Bauherr:innen, Eltern, beruflich oder privat Weiterbildungsinteressierte, geflüchtete Menschen etc.
Die Einbindung der Nutzer:innengruppen erfolgt je nach Kenntnis- und Erkenntnisstand zur Ausgangslage vor einer Formularwerkstatt, spätestens aber, nachdem ein erster Prototyp eines Dokumentes entwickelt wurde. Entwickelte Prototypen werden mit mehreren Testpersonengetestet. Erkenntnisse aus diesen Tests werden direkt in der Formularwerkstatt weiterverarbeitet und umgesetzt. Ergebnis ist dann ein durch Nutzende getesteter Prototyp.
Vom unbeteiligten Abnehmer zur co-creativen Mitgestalterin
Indem Nutzer:innen von unbeteiligten Endabnehmer:innen zu beteiligten Mitgestalter:innen werden, entstehen bürger:innenfreundlichere, städtische Dokumente! Die Arbeitsergebnisse führen häufig zu einem positiven Überraschungseffekt bei Bürger:innen. Sie sind beispielsweise erstaunt darüber, wie viel sie auf Anhieb verstehen und eigenständig ohne Grübeln ausfüllen können. Dies führt zu weniger subjektiv empfundener Hilfebedürftigkeit hinsichtlich Rückfragen bei der Verwaltung und dadurch mehr Selbstwirksamkeit der Bürger:innen sowie weniger Arbeitsaufwand bei der Verwaltung. Mittel- und langfristig tragen die Formularwerkstättenzu einer Kommunikation mit Bürger:innen auf Augenhöhe und zur Modernisierung und Entbürokratisierung der Verwaltung bei.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Initiierende Stelle:
Stadtverwaltung Köln / Innovationsbüro
Stadtverwaltung Köln / Amt für Soziales, Arbeit und Senioren
Umgesetzt für:
Die Ergebnisse der durchgeführten Formularwerkstatt wurden für die Kund:innengruppen der folgenden Fachämter der Stadtverwaltung Köln implementiert:
- Amt für Soziales, Arbeit und Senioren
- Amt für Wohnungswesen
- Amt für öffentliche Ordnung
- Volkshochschule im Amt für Weiterbildung
Ebene:
Kommune
Team:
Anja Schäfer
Grundsatzangelegenheiten im Sozialamt.
Rolle: übergeordnete Amtsperspektive einbringen, Entscheiderin
Kathrin Ernst
Sachbearbeitung im Sozialamt.
Rolle: unmittelbare Herausforderungen, Bedarfe und Erfahrungen einbringen aus Sicht der Sachbearbeitung wie auch die Kund:innenperspektive
Natalie Daniel
Amtsjuristin im Sozialamt.
Rolle: alternative Formulierungsüberlegungen „live“ auf Rechtssicherheit überprüfen, um nachträgliche Abstimmungen zu vermeiden, Grenzen hinsichtlich rechtlicher Anforderungen konstruktiv einbringen
Stephanie Jekel
Standards- und Grundsätze im Personal- und Verwaltungsmanagement.
Rolle: Bedarfe abstrahieren und Überlegungen anstellen, wie Formulierungen standardisiert und verwaltungsweit nutzbar gemacht werden können.
Janina Rösch
Servicedesignerin im Innovationsbüro.
Verantwortlich für den Gesamtprozess der Werkstatt (Konzeption,Moderation, Testing mit Nutzenden, Gestaltung und Übergabe Prototyp usw.), Design
Beteiligte Disziplinen:
Das agile Werkstattteam schöpft seine gestalterische Kraft aus seiner Interdisziplinarität: Beteiligt waren beispielsweise an einer Werkstatt mit dem Sozialamt mehrere Verwaltungsfachangestellte, eine Amtsjuristin sowie eine Service-Designerin aus dem Innovationsbüro.
Dauer:
2 Tage
Eine Formularwerkstatt dauert immer nur zwei Tage.
Je nach Ausgangslage ist gelegentlich eine etwas intensivere Vorrecherche erforderlich. Die Dauer bis zur Implementierung des in der Werkstatt entwickelten und getesteten Prototypen variiert, beläuft sich in den meisten Fällen aber auf wenige Wochen.
Für Veränderungsprojekte in einer hierarchisch strukturierten Organisation wie einer Verwaltung ist dieser Zeithorizont recht unüblich und daher auch ein großer Zufriedenheitsfaktor, den unserer bisherigen Projektpartner:innen uns mehrfach und unaufgefordert zurückgemeldet haben.
Budget:
0,-€
Bisher ist kein eigenes Budget für die Projektdurchführung erforderlich gewesen. Eingesetzt werden vorhandene Personalressourcen im Innovationsbüro und im jeweiligen Fachamt.
Nachgefragt bei Derya Can
Was ist Ihre größte Errungenschaft? Worauf sind Sie besonders stolz?
Das Ergebnis: getestete und in Betrieb genommene Prototypen! Schnelle Projekte mit konkretem Ergebnis sind (noch) kein Verwaltungsstandard!
Das Erlebnis:
- Interdisziplinäre Werkstatteams, die über Hierarchiegrenzen hinweg arbeiten. Die Formularwerkstätten forcieren diesen Kulturwandel! Das gemeinsame Schaffen von etwas Neuem setzt positive Energie in den Fachabteilungen frei. Davon profitieren unsere Kolleg:innen auch lange nach der Formularwerkstatt.
- Wir testen die Prototypen mit Nutzenden immer in Tandems aus dem Werkstattteam. Viele Kolleg:innen, die diese Tests durchgeführt haben, waren sehr erstaunt, was ein aus Verwaltungssicht rechtssicheres und regelkonformes Schreiben bei Bürger:innen auslösen kann.
Was genau hat den Anstoß zur Umsetzung gegeben?
Wir wollen als Innovationsbüro der Stadt Köln spürbare Verbesserungen für Bürger:innen erzielen. Wir möchten schnell und unkompliziert umsetzbare Lösungen mit einer Qualität von mindestens 80% erreichen. Dazu ist es von Vorteil, mit wenigen Akteuren und Schnittstellen zu arbeiten und die Bürger:innen als Nutzende in den Verbesserungsprozess direkt einzubeziehen. Wir haben als Problem der Bürger:innen die oft schwer verständlichen
Dokumente der Verwaltung identifiziert, die mit wenigen Akteur:innen einer Dienststelle und wenigen Querschnittsfunktionen strukturiert schnell verbessert, getestet und umgesetzt werden können. Gleichzeitig ist das Format für die meisten Dienststellen anwendbar und somit skalierbar.
Wie stellen Sie Ihr (erlerntes) Wissen zu Innovationsprozessen anderen zur Verfügung?
Verwaltungsintern haben wir ein Regelwerk „Einfache Sprache“ entwickelt, bestehend aus zusammengetragenen Regeln zur Anwendung von Einfacher Sprache (mit zahlreichen, konkreten Beispielen) und unseren Erfahrungen aus Formularwerkstätten. Der Prototyp des Regelwerkes wird aktuell intern getestet und soll anschließend verwaltungsintern veröffentlicht werden.
Interkommunal teilen wir unser Wissen und Erfahrungen zu den Formularwerkstätten zudem in Netzwerkveranstaltungen, z.B. NExT-Community of Practice, Online Netzwerk Ruhr-Digital (RuDi), jährlich stattfindender Zukunftskongress Staat und Verwaltung, Forum Agil in die Zukunft oder ausgewählten Formaten der KGSt und diverser NRW-Landesnetzwerke.
Was war die größte (unerwartete) Herausforderung?
Das Abweichen von bisher bewährten Formen der Zusammenarbeit und das Hinterfragen bewährter Umsetzungs- bzw. Freigabeschleifen sind ein Themenfeld, in dem wir auch weiterhin noch immer lernen und gemeinsam nach Lösungen suchen dürfen.
Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Das Attraktive an der Formularwerkstatt ist, dass es kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein fortlaufendes Format ist, das mit jeder Anfrage erneut startet. Wir haben daher das Glück, Learnings aus abgeschlossenen Werkstätten direkt in die nächste Werkstatt einfließen zu lassen. In diesem Zusammenhang haben wir beispielsweise schon folgende Dinge anders gemacht:
- interne Ressourcenplanung optimiert
- mehr Zeit für die Vorbereitung und Vorrecherche eingeplant und
- verschiedene Beteiligungsformen für Querschnittsämter getestet
Planen Sie bereits ein nächstes nutzerorientiertes Projekt?
Die Herangehensweise Service-Design-Thinking ist für alle unsere Projekte im Innovationsbüro handlungsleitend. Wir achten darauf, insbesondere an Projekten zu arbeiten, deren Nutzende Bürger:innen sind. Die Formularwerkstatt im spezifischen ist inzwischen ein bewährtes und fortlaufendes Format, zu dem wir regelmäßig Anfragen bekommen und diese immer wieder in Projekten umsetzen.
Was würden Sie anderen Behörden raten, die sich aufmachen, einen ähnlichen Prozess wie Sie anzugehen?
Offenheit schaffen für “neue Arbeitsweisen” wie Service-Design-Thinking - dann klappt es auch mit der Lösungsorientierung und der Nutzendenzentrierung!
Rechtssicher bleiben: Formulare können rechtssicher UND verständlich sein! Binden Sie Rechtsexpert:innen früh ein!
Künstliche Intelligenz und Tools helfen uns: KI-Tools können bei der Vereinfachung alter und Produktion neuer Texte helfen. Für unsere Werkstattteams sind diese Textvorschläge Quellen für Inspiration!
PRAKTISCH VOR PERFEKT! Streben Sie nicht nach Perfektion! Prototypen sind nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ein verbessertes und mit nutzenden getestetes Arbeitsergebnis, das für die nächste Zeit gut ist. Veränderungsbedarfe wird es immer wieder geben.
Glauben Sie, dass das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis mit anderen Mitteln hätte erreicht werden können?
Das glauben wir aktuell nicht, u.a. weil der Bedarf, Nutzen und Mehrwert, den die Vereinfachung von Formularen mit sich bringt, noch nicht flächendeckend von Verwaltungsmitarbeitenden gesehen wird. Denjenigen, die diese Erkenntnis
bereits haben, fehlt es oft an Zeitressourcen und/oder Kompetenzen, entsprechend selbst aktiv zu werden.
Als Innovationsbüro haben wir mit der Formularwerkstatt den Anschub/einen Pilotversuch gestartet und konnten dieses wichtige Thema setzen! Jede Dienststelle hat die Chance, eine Formularwerkstatt mit uns gemeinsam durchzuführen.
Für eine nachhaltige Umsetzung soll das Regelwerk den Verwaltungsmitarbeitenden niedrigschwellig vermitteln, Formulare selbständig zu vereinfachen. Weitere Maßnahmen sind geplant.
Welche neuen Kompetenzen wurden eventuell erlernt und welche neuen Kompetenzen benötigt „Verwaltung“ in der Zukunft?
Die Werkstattteams haben gelernt:
- dass Nutzende Expert:innen ihrer Situation sind und es Sinn macht, sie in Entwicklungsprozesse einzubinden,
- dass „für uns“ selbstverständliche Formulierungen für Nutzende ganz und gar nicht einfach sind,
- dass Zitate aus Gesetzestexten bei Nutzenden nicht immer zu einem besseren Verständnis beitragen,
- dass Einfache Sprache und Rechtssicherheit kein Widerspruch sind und
- dass man in nur zwei Tagen einen nutzbaren Prototyp entwickeln kann!
Die Verwaltung der Zukunft sollte…
- sich mehr auf Augenhöhe begeben und Bürger:innen in Entwicklungsprozesse mit Gestaltungsspielraum einbinden,
- sich mehr als Dienstleisterin verstehen (Dienst an der Öffentlichkeit!)
- sich trauen, Bewährtes zu hinterfragen und den Mut haben, ohne Angst vor Fehlern Dinge auszuprobieren.
Ansprechpartnerin
Derya Can
derya.can@stadt-koeln.de