Sozial wird digital: Wie das OZG-Camp uns dabei geholfen hat bürgerfreundlicher zu werden.
Alle OZG-Dienstleistungen bis Ende 2022 digitalisieren?
Für viele Behörden und Kommunen schien das unmöglich. Das Sozialdezernat in Wiesbaden nahm es als Anlass, seine Dienstleistungen nicht nur einfacher (und digital) anzubieten, sondern gleichzeitig einen „Kick-off“ in eine bürgerfreundlichere Verwaltung zu initiieren.
Mit dem OZG-Camp wurden in kurzer Zeit mehr als 20 Mitarbeiter:innen befähigt, die Perspektive der Bürgerschaft einzunehmen und so ihre Dienstleistungen zu verbessern. Nicht nur die Nutzenden profitieren von den Ergebnissen und der Arbeitsweise - sondern auch die Mitarbeiter:innen.
Ein OZG-Camp für eine bürgerfreundlichere Verwaltung
OZG-Camp bedeutete: Eine Woche Off-Site mit abwechslungsreichem und intensivem Programm für 1-2 Mitarbeiter:innen aus jeder Abteilung. Nach Impulsvorträgen zu Bürgerfreundlichkeit und Service Design stiegen die Teilnehmer:innen direkt ein und nahmen konkrete Anträge unter die Lupe. Die ersten Tage standen im Zeichen der inhaltlichen Optimierung. Mit Hilfe von Personas und Nutzerreisen, sowie Fachvorträgen zur Unterschriftenerfordernis, Formularoptimierung und einfacher Sprache, konnten Anträge direkt vereinfacht, verständlicher und bürgerfreundlicher gestaltet sowie sofort getestet werden. Die zweite Hälfte der Woche diente der technischen Schulung, damit die Teilnehmer:innen anschließend selbstständig Anträge digitalisieren konnten. In Woche 2 und 3 haben sich die Teilnehmer:innen regelmäßig getroffen und in Sprechstunden ihre Fragen besprochen. Zur Begleitung wurden umfangreiche Schulungsunterlagen sowohl in Video- als auch Textform in einer eLearning-Plattform zur Verfügung gestellt.
Die Mitarbeiter:innen können jetzt nicht nur ihre eigenen (bereits vorhandenen) Formulare in digital ausfüllbare PDFs umwandeln, sie denken jetzt vor allem aus Bürger:innenperspektive. Vielen Mitarbeiter:innen fiel es wie Schuppen von den Augen:
„Kein Wunder, dass die Bürger:innen unser Schreiben nicht verstehen.“
Die Teilnehmer:innen aus den Abteilungen haben ihre eigenen Anträge mit ins OZG-Camp genommen und mit Hilfe von Fachvorträgen, lehrreichen Videos, Schulungen und Gruppenarbeit diese nach und nach optimiert und letztlich digitalisiert. Es wurde ein eLearning Kurs mit Schritt-für-Schritt Anleitungen bereitgestellt, inklusive allen Unterlagen, die während des Camps genutzt wurden, um so auch nach dem Camp die notwendige Begleitung geben zu können. Da für richtige Nutzertests mit Bürger:innen die Zeit in der Woche zu knapp war, haben die Abteilungen gegenseitig ihre Anträge in den verschiedenen Stadien getestet und die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger eingenommen. Während eines Usability Testessens ein paar Monate später, hat sich die Möglichkeit ergeben noch mit echten Bürger:innen zu testen.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Initiierende Stelle:
Projekt Arbeit Neu Denken; Dezernat für Soziales, Bildung, Wohnen und Integration, Wiesbaden
Umgesetzt für:
Für 20 Abteilungen in den drei Ämtern des Sozialdezernates der Landeshauptstadt Wiesbaden wurde ein OZG-Camp durchgeführt, um fristgerecht bis zum Ende des Jahres 2022 alle eigenständig möglichen Dienstleistungen aus den Bereichen Soziales, Bildung, Wohnen und Integration bürgerfreundlich und digital anzubieten. Zahlreiche ‚OZG-Pioniere‘ wurden in kurzer Zeit ausgebildet, die das erworbene Wissen intern als Multiplikatoren weitertragen.
Ebene:
Kommune
Team:
Das Team des Projektes „Arbeit Neu Denken“
- Planung, Vorbereitung und Durchführung des Camps
- Erstellung der Inhalte für die eLearning-Plattform und die Vorträge während des Camps
- Begleiten der Gruppen bei der Arbeit
- Svenja Bickert-Appleby von New Order Design (Inhaltliche Vorbereitung des Camps und Begleitung während des Camps mit abwechslungsreichen Methoden und Vorträgen zu Service Design)
Beteiligte Disziplinen:
Teilnehmer:innen
Trainer:innen
Sachbearbeiter:innen
Arbeitsgruppenleitungen und andere Kolleg:innen aus allen Abteilungen der beteiligten Ämter (Verwaltungsangestellte, Sozialarbeitende)
Team
UX-Expertin
Service Design-Expertin
Projektleiterin
IT-Experte
Kommunikationsexpertin
Auszubildende
Dauer:
Das OZG Camp hat im März 2022 stattgefunden.
Nach einer intensiven Woche zu Beginn, haben sich die Teilnehmer:innen in den darauffolgenden 2 Wochen jeweils 3 Stunden getroffen, um bestimmte Themen zu vertiefen oder an den Anträgen weiterzuarbeiten. Durch themenspezifische Sprechstunden haben wir die Teilnehmer:innen direkt unterstützen können. Eine komprimierte Version des OZG-Camps (1,5 Tage) hat im Oktober stattgefunden. Andere Fachämter in Wiesbaden, wie das Ordnungsamt, haben das Konzept adaptiert und eigene Workshops durchgeführt.
Budget:
- Räumlichkeiten und Verpflegung Woche 1: ca. 12.000 €
- Externe Begleitung vor und während des Camps durch Svenja Bickert-Appleby (New Order Design): ca. 10.000 €
- Interne Personalressourcen zur Erstellung des eLearning Kurses und Begleitung während des Camps.
Nachgefragt bei Lene Böhnke
Was genau hat den Anstoß zur Umsetzung gegeben?
Die Bedürfnisse der Bürger:innen stehen bei uns immer im Fokus und haben uns auch für dieses OZG-Camp motiviert. Ein Jahr vor Fristablauf, als viele andere schon aufgegeben hatten, sind wir tätig geworden. Mit einer agilen Herangehensweise haben wir dafür gesorgt, dass eigene Arbeitsprozesse beschleunigt und vereinfacht wurden, um mehr Zeit für die wesentlichen Aufgaben zu haben.
Was ist Ihre größte Errungenschaft? Worauf sind Sie besonders stolz?
Wir sind stolz auf unsere innovative Idee: 1 Woche, 23 Expert:innen aus 20 Abteilungen aus 3 Ämtern. Der Erfolg gibt uns Recht: Das Umdenken und der erfolgreiche Perspektivwechsel bei allen Teilnehmenden zeigte sich schon ab Tag 1 des Camps. Nur weil wir bestimmte Vorgänge schon immer so machen, heißt es nicht, dass sie noch gut sind. Sich Zeit zu nehmen für die ‚Bürger:innenperspektive‘ führt zu vielen neuen Erkenntnissen und macht den gesamten Prozess für Mitarbeitende und Bürger:innen angenehmer und effizienter.
Wie stellen Sie ihr (erlerntes) Wissen zu Innovationsprozessen anderen zur Verfügung?
Wir teilen unser Wissen innerhalb der Verwaltung durch einen eLearning Kurs, der für alle verfügbar ist. Alle Infos und Vorlagen zur Anwendung von nutzerzentrierten Gestaltungsmethoden sind dort vorhanden. Wir teilen unser Wissen und unsere Unterlagen auch gerne mit anderen Kommunen, die auf unser OZG-Camp aufmerksam geworden sind.
Was war die größte (unerwartete) Herausforderung?
Die Teilnehmer:innen des Camps waren durch die Corona Pandemie und den Ukraine Krieg noch ausgelasteter als sonst und hatten dadurch deutlich weniger Kapazitäten für die Umsetzung des OZGs. Beispielsweise hatte die Unterbringung von geflüchteten Menschen selbstverständlich die höchste Priorität. Da aber digitale Anträge in Zukunft auch in solchen Krisensituationen für viel Entlastung sorgen können, haben wir parallel dazu die Optimierung und Digitalisierung von Anträgen vorangetrieben.
Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Eventuell noch mehr Teilnehmer:innen einladen, damit auch wirklich mindestens 2 Kolleg:innen aus jeder Abteilung für den gemeinsamen Austausch dabei sind. Oftmals fehlte der oder die Sparringspartnerin und Entscheidungen konnten nicht direkt vor Ort getroffen werden. Auch in der Nacharbeit nach dem Camp hilft es, wenn es nicht nur ein oder eine Verantwortliche/n gibt.
Welchen Vorgang gehen Sie als nächstes an?
Wir haben überall wo möglich digital ausfüllbare PDFs erstellt. Natürlich ist der nächste Schritt ein volldigitaler Prozess. Auch die nutzerzentrierte Optimierung aller Dienstleistungen und Prozesse steht weiterhin auf unserer Agenda.
Was würden Sie anderen Behörden raten, die sich aufmachen einen ähnlichen Prozess wie Sie anzugehen?
Gönnen Sie sich und Ihren Kolleg:innen Zeit, um sich auf den Veränderungsprozess einzulassen. Ein methodisch abwechslungsreiches Programm ermöglicht, den Blick zu verändern, ins Gespräch zu kommen und nachhaltige Optimierungen vorzunehmen.
Welche neuen Kompetenzen wurden eventuell erlernt und welche neuen Kompetenzen benötigt „Verwaltung“ in der Zukunft?
Von der Optimierung von Prozessen mithilfe von Personas und Nutzerreise bis hin zur Erstellung von digital ausfüllbaren PDFs haben wir viele Kompetenzen im vergangenen Jahr erlernt. Auch das kritische Hinterfragen und die Offenheit für Neues gehören dazu.
Ansprechpartner:in
Lene Böhnke
lene.boehnke@wiesbaden.de
0611317706
zukunftswerkstattDez.VI@wiesbaden.de
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